„Wir brauchen nicht über Fachkräftemangel diskutieren und ins Ausland schauen, um dort kompetente Mitarbeiter:innen zu rekrutieren. Wir haben viele top ausgebildete Frauen in Deutschland. Wir müssen für sie nur familienfreundliche Rahmenbedingungen schaffen, in denen es für sie attraktiv ist zu arbeiten.“

– Jeanette Gonnermann
Seit 2021 ist Jeanette Gonnermann an der Spitze des Waren-Vereins der Hamburger Börse e.V.. Die Geschäftsführerin spricht mit Paul M. Müller (PMM) im Interview darüber, warum Frauen in der Arbeitswelt wichtig sind, was sie Young Leader:innen rät und wie sich Karriere und Kinder vereinen lassen.

PMM: Frau Gonnermann, Sie bekleiden Ihr Amt beim Waren-Verein seit eineinhalb Jahren. Geschäftsführerin in einer tradierten Branche zu sein – Fluch oder Segen?

Lassen Sie es mich so formulieren: Eine männerdominierte Branche bietet große Vorteile und ich fühle mich hier sehr wohl. Erstens: Warum Vorteil? Ich bin als Frau dauerhaft unterschätzt worden. Dass ich Jura studiert habe, schon früh Abteilungsleiterin war, wollte manche:r nicht sehen und ich war oft gefühlt im Rechtfertigungszwang. Irgendwann habe ich erkannt, dass es ein Vorteil ist und mir zugutekommt, unterschätzt zu werden, denn dann kann man nur positiv überraschen.

Zweitens: Frauen besitzen Charme und sind mitnehmend. Kooperativ und menschlich zu führen, statt streng hierarchisch, empfinde ich als gut und gewinnbringend. Ich bin immer gut damit gefahren, mir selbst treu zu bleiben, obwohl man mit einem empathischen Führungsstil Flanken aufmacht. Auch damit muss man umgehen können.

Frauen in Führungspositionen sind noch immer eine Seltenheit. Braucht es mehr davon?

Oh ja. Frauen in Führung ist ein Thema, das mich schon lange beschäftigt, und natürlich wünsche ich mir mehr davon. Ich habe meine Entscheidung nie bereut, weil es schon immer mein Antrieb war, in eine Führungsposition zu gehen. Als sich mir die Chance bot, Geschäftsführerin in der Handelskammer Hamburg zu werden, war ich schwanger. Ursprünglich dachte ich, es würde keinen Sinn machen, meinen Hut in den Ring zu werfen. Aber mein Mut wurde belohnt: Ich wurde zur Geschäftsführerin ernannt – und mit der Ernennung trat ich damals in den Mutterschutz ein, eine kleine Sensation zu der Zeit! Der Deal war, dass ich nach einem halben Jahr in Vollzeit wiederkomme. Es war und ist ein Spagat für mich und geht nicht ohne familiäres Backup.

Was können Unternehmen hier tun?

Unternehmen müssen sich moderner aufstellen und mit der Zeit gehen. Wir brauchen nicht über Fachkräftemangel diskutieren und ins Ausland schauen, um dort Kolleg:innen zu rekrutieren. Wir haben viele tolle Frauen, wir müssen für sie nur Rahmenbedingungen schaffen, in denen es für sie attraktiv ist zu arbeiten. Heißt: Modelle implementieren, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. In den skandinavischen Ländern scheint das prima zu klappen und ich wünsche mir, dass wir solche Konstrukte auch bei uns erschaffen.

Davon abgesehen stellen wir beim Waren-Verein fest: Unternehmen, die modern auftreten, gerade auch im Bereich Webseite und Social Media sind für junge Fach- und Führungskräfte viel attraktiver. Wenn ein Unternehmen nicht in irgendeiner Form online ist, ist es schlichtweg nicht existent.

Wie sind heute die Reaktionen auf Sie in einer Führungsposition?

Junge Frauen, die ihre Ausbildung machen, kommen auf mich zu und machen mir Komplimente. Sie finden es toll, was ich mache und wie ich es mache. Aber sie formulieren mir gegenüber auch, dass sie Kinder wollen. Ich kann dann nur antworten: Es geht beides – aber man muss Vorurteile in Kauf nehmen und auch, dass man an seine Grenzen stößt. Mit dem Young Leader:innen-Projekt des Waren-Vereins haben wir ein Netzwerk aus Nachwuchskräften – weiblich und männlich – aus der Branche geschaffen. Hier sprechen wir über New Work, Digitalisierung, aber auch über so große Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit. Dass wir über diese Themen diskutieren, bringt letztendlich beide Geschlechter weiter. Meiner Meinung nach ist Mentorenschaft außerdem ein großes Thema und unheimlich wichtig. Ich hatte bereits in der Handelskammer eine Mentorin. Es ist gut, wenn man das eigene Verhalten gespiegelt bekommt, man sieht, was beim Thema Führung wichtig ist – und was man vermeiden sollte. Auch hier profitieren Young Leader:innen.

Wie wichtig sind Netzwerke generell?
Wahnsinnig wichtig. Frauen nutzen diese viel zu selten. Dabei gilt es, nicht nur Frauennetzwerke zu pflegen, sondern auch Events, Veranstaltungen und (Führungskräfte-) Seminare im Allgemeinen zu besuchen. Miteinander diskutieren, sich aussprechen, auf offene Ohren stoßen – das ist so wertvoll. Ich genieße es, dass ich mittlerweile weiß, wen ich anrufen und vertrauensvoll um Rat bitten kann. Und im Ergebnis wäscht eine Hand die andere.

Möchten Sie ein Vorbild, ein so genanntes Role Model, sein?

Den Begriff Role Model finde ich schwierig, weil ich weiß, was es bedeutet, Kinder und Karriere zu vereinen. Ich sehe mich aber gerne als Impulsgeberin, die aufzeigt, dass ein Weg wie meiner möglich ist und dass man sich als Frau auch trauen darf, ihn zu gehen.

Brauchen Frauen mehr Mut?

Ja! Ich komme aus dem Rheinland und spreche Dinge ohnehin sehr direkt an. Davon abgesehen, muss man schon ein wenig „Rampensau“ sein, um sich durchzusetzen und souverän eine Führungsposition zu bekleiden. Man muss auffallen, sei es mit einer Meinung, dem Auftreten oder der Kleidung.

Zum Abschluss die Gretchenfrage: Braucht es eine Quote?

Ich habe mich lange mit dieser Frage gequält. Letztlich habe ich mich dafür entschieden. Es muss eine Form von Zwang geben, um die erste Hürde zu schaffen. Danach setzt – so hoffe ich – Automatismus ein. Was mir nicht gefällt: Wenn Frauen als Quotenfrau bezeichnet werden, obwohl sie eine Topleistung bringen. Einem Mann würde man das nie sagen.

Zur Person:

Jeanette Gonnermann ist seit 2021 Geschäftsführerin des Waren-Verein der Hamburger Börse e.V. Sie ist Volljuristin und war zuvor neun Jahre in der Handelskammer Hamburg tätig. Sie hat mehrjährige Erfahrung als Geschäftsführerin und ist als ausgewiesene Handelsexpertin auch international aufgestellt.

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